Für Margit und Dagmar
Ich sitze am Zeichentisch in meinem Atelier.
Die großen Fenster geben mir den Blick frei zu den mächtigen Bäumen in meinem Garten.
Langsam schleicht die Dämmerung heran und verdrängt das Licht des Tages. Erde und Bäume werden eins und tauchen gemeinsam in ein verschwommenes graues Farbgebilde, das mich zum Träumen veranlasst.
Neben mir liegt das aufgeschlagene Bild-Text-Buch von Margit Wehle-Heich und Dagmar Soltikow-Wehle, mit dem Titel „Baumgespräche“. Meine Augen bleiben auf dem Text „Rauhe Rinde einer Kiefer“ haften. Zwei Abbildungen gegenüber aus der Serie „Die Kiefer“ ergänzen mit malerisch dezent gehaltenen Farben die Aussagekraft des Textes. Mich fasziniert die Tönung der Farbgebung auf dem strukturierten Untergrund.
Die Farben Umbra gebrannt, Siena gebrannt mit einem hellen Rot, das sich zum Teil in einer lichten Siena-Ocker-Färbung in das Dunkle eindrängt, wird zu einer Einheit. Ein wenig Weiß, das sich diagonal von oben ins Bild zieht, ergibt eine interessante Lichteinstrahlung, die man nicht übersehen kann. Doch was ist an dieser Darstellung so interessant? Es fällt auf, dass die rauhe, dunkelgefärbte Rinde umgekehrt gezeigt wird, anders als sie die Natur geschaffen hat. Die leuchtende Kraft ist nicht oberflächlich, sie dringt in die Tiefe der Rinde, zum inneren Leben des Kieferbaumes. Man denkt an Falten in einem alternden Menschengesicht, in dem die Faltenzeichnung in der Tiefe das Alter anzeigt.
Dagmar-Soltikow-Wehle sagt es mit ihren Worten:
„Altes Antlitz
gekerbte Spur
Mensch und Baum
geformt in Jahren
gewachsenes Leben“
Ja, Dagmar, du lässt beim Schreiben die Worte für dich denken. Du sagst, so glaube ich, man muss die Worte nur herholen und in die richtige Reihenfolge bringen, um sie dem Zuhörer zu schenken. Die Worte wachsen förmlich zusammen.
Du, Margit, lässt beim Malen Farben und Techniken für dich sprechen. Du hältst den Pinsel über den Farbkasten und sagst, da ist alles drin, viele Bilder; sie müssen nur sichtbar gemacht werden.
Ich weiß nicht genau wie lange wir uns schon kennen. Ich weiß nur, dass es viele, viele Jahre her sind, als wir uns zum ersten Mal persönlich begegneten. Margit du warst für einige Jahre eine meiner Malschülerinnen. In der Zeit danach konnte ich deinen Werdegang im malerischen Bereich weiter verfolgen. Heute kann ich sagen, ich habe deinen Weg mit Interesse beobachtet, denn ich konnte deine Kreativität, deine Vielseitigkeit im Umgang mit Farbe und Materialien erkennen und bewundern.
Bei Dagmar Soltikow-Wehle war es anders.
Anfang der 90er Jahre brachte Margot, meine Frau, aus der Autorengruppe Nahe, in der sie Mitglied war, einen Text mit: „Ich habe den Garten Eden gesehen“, unterzeichnet mit Dagmar Soltikow-Wehle. Ich war fasziniert von dieser Prosaerzählung.
Ein Ausschnitt: Ich zitiere:
„……..und wieder ein blühender Baum am Eingang zum Garten Eden. Blutbuche? Weißbuche oder Rotbuche? Doch das ist nicht wichtig, es ist ein wunderschöner Baum. Immer wenn wir heimkehren ins Paradies, müssen wir an diesem Baum vorbei.
Wir legten jeder ein Ohr an die Rinde des Baumes und horchten, was er mit dem Rauschen seiner Blätter erzählte und hörten die ewige Geschichte von Himmel und Hölle, von Liebe und Hass.“
Kurze Zeit danach lernte ich die Schriftstellerin persönlich kennen und durfte weitere Texte aus ihrem Schaffen mit großem Interesse lesen.
Nun vertiefe ich mich immer mehr in das vorliegende Buch „Baumgespräche“ und warte, was es mir so alles erzählen wird.
So stelle ich fest, es ist eine fließende Atmosphäre, die die von einem zart, melancholischen Gefühl durchdrungenen Inhalte, ob Text oder Bild, unterstreicht. Daran passt sich eine ineinader fließende Art der Darstellungen an, die lyrisch miteinander verschmelzen. Es ist die Suche nach einer Synthese, die von Emotion und Form bestimmt ist. Das Bild, sowie auch der Text, fordern daher eine Sichtweite und –weise, die Empfindungen hervor ruft.
So erreicht Margit Wehle-Heich in ihren Baumbildern eine direkte Hinführung zu formalen Lösungen, die im Innern der Materie des Baumes enthalten sind. Sie bestimmt und erklärt sie, indem sie die Vorstellungen, die schon von der Rinde, den Maserungen, Zweigen, Wurzeln und Spalten des Holzes vorgegeben sind, als Werk vollendet. Dabei identifiziert sie sich in ihren Werken mit den Anregungen, die von der Natur gegeben werden.
Die Malerin versucht in ihrer Malerei Formen zu finden, die in den abstrakten Bereich streben, ohne jedoch das naturalistische Motiv, aus dem es seinen Ursprung bezieht, aus dem Blick zu verlieren.
Die Schriftstellerin Dagmar Soltikow-Wehle tut ihre Gedanken kund, indem sie ihre anschaulichen Wortbilder von Abläufen in der Natur und Empfindungen der Menschheit schildert. Dabei holt sie vieles, was zugeschüttet ist, aus den unteren Schichten des Bewusstseins wieder an die Oberfläche. Ihre Textsprache ist bildhaft, unaufdringlich, maßvoll und vor allem ästhetisch visiert. Aus ihren Werken spricht eine komplexe und vielseitige Persönlichkeit. Ihre Texte stellen sich in einer großen Geschlossenheit von starker Dynamik dar, die nichts dem Zufall überlässt.
Bei beiden, Malerin und Schriftstellerin, ist eine Tendenz zur Vereinfachung festzustellen, die zu einem einfachen Bezug zwischen Wort und Bild führt. Auch offenbart sich eine lyrische Ader in der Sensibilität ihrer Töne und die Anlehnung an die Poesie der Natur.
So entstand im Gemeinschaftswerk „Baumgespräche“ von Margit Wehle-Heich und Dagmar Soltikow-Wehle ein malerisch lyrisches, aber keineswegs sentimentales oder romantisch verklärtes Stimmungsbild.
Es wurde ein immer gleicher, aber unwiederholbarer Augenblick des Lebens für uns alle sichtbar dargestellt. „ BAUMGESPRÄCHE“
Im September 2010
gez . Karlheinz Brust